Der Ausdruck «Last minute» zählt zu den Anglizismen, die fest im deutschen Sprachgebrauch verankert sind. Er findet vor allem im Tourismus Gebrauch. Hier beschreibt das Schlagwort die Möglichkeit, kurzfristig eine günstige Reise zu buchen. Mit Blick auf die kommenden Ferienmonate dürfte der Chef eines grossen Branchenvertreters viele Schnäppchenjäger gerade desillusioniert haben. «Es wird 2023 keinen ‹Last-minute-Sommer› geben, wie es ihn früher gab», sagte TUI-CEO Sebastian Ebel in einem Interview mit «Bild am Sonntag». Vielmehr rechnet er mit dem Gegenteil: «Die Preise werden kurz vor Abflug eher höher als günstiger sein, weil auch die Hoteliers und Fluggesellschaften wissen, dass kurzfristig immer noch viel gebucht wird. Spontane Schnäppchen werden die absolute Ausnahme sein.» Bei TUI sei die Nachfrage im ersten Sommer nach der Pandemie aussergewöhnlich hoch. «Am besten ist Griechenland gebucht», erklärte der Konzernlenker.
Markante Underperformance
Seine Aussagen passen in die allgemeine Aufbruchstimmung im globalen Tourismussektor. Seien es die monatlichen Verkehrszahlen vom Flughafen Zürich und anderen Airports, die jüngsten Quartalsberichte von Hotelgruppen und Buchungsportalen oder schlicht die österlichen Staus am Gotthard: Die kollektive Reiselust kommt an verschiedenen Stellen zum Vorschein. An der Börse hat TUI – anders als viele Konkurrenten – dennoch einen schweren Stand. Nach einem starken Start in das Jahr drehte die Aktie gen Süden und setzte ihren langfristigen Abwärtstrend fort. Die relative Schwäche – der STOXX Europe 600 Travel & Leisure Index legte im bisherigen Jahresverlauf um annähernd ein Viertel zu – dürfte in einem direkten Zusammenhang mit den umfangreichen Finanzierungsmassnahmen von TUI stehen. Mitte April hat der Konzern mit Sitz in Hannover eine weitere Kapitalerhöhung abgeschlossen. Dabei sammelte er EUR 1.8 Mrd. bei den Investoren ein.
Blick nach vorne
Zehn Tage später konnte sich TUI von einem prominenten Geldgeber verabschieden. Der Reisekonzern zahlte die restlichen Staatshilfen an die Bundesrepublik Deutschland zurück. Als die Corona-Pandemie den Tourismus im Frühjahr 2020 kollabieren liess, hatte Berlin den Konzern mit insgesamt EUR 4.3 Mrd. vor dem Kollaps bewahrt. Vier Kapitalerhöhungen ermöglichten TUI die rasche Tilgung. Naturgemäss sorgten diese Massnahmen für eine wahre Aktienflut und eine dementsprechende Verwässerung bestehender Gesellschafter. Der CEO amtete nach der jüngsten Überweisung an den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) dennoch auf und sprach von einem sehr wichtigen Tag für das Unternehmen. «Die TUI ist gestärkt auf Kurs, jetzt geht der Blick nach vorne, der Fokus liegt auf profitablem Wachstum», machte Ebel deutlich. In der Tat ist der Konzern aufgrund seiner breiten Aufstellung dafür prädestiniert, die Chancen des Sektors abzugreifen. Mit 16 Kreuzfahrtschiffen, rund 400 Hotels, einer Flotte von 130 Ferienfliegern sowie rund 1200 Reisbüros ist TUI ein echter Feriengigant.
Beachtlicher Turnaround
Der Start in das Geschäftsjahr 2023 (per 30.09.2022) ist geglückt: 3.3 Mio. Urlauber waren von Oktober bis Dezember 2022 mit TUI unterwegs – 1 Mio. mehr als im ersten Quartal der Vorperiode. Damit erreichte die Zahl der Kunden 93% des Niveaus von 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Bei einem Umsatzwachstum von knapp 60% auf EUR 3.75 Mrd. konnte TUI den operativen Verlust (Stufe bereinigtes Ebit) auf EUR 153 Mio. nahezu halbieren. Dank eines starken Sommergeschäfts hatte TUI im vergangenen Jahr hier einen beachtlichen Turnaround verbucht (siehe Grafik). Für die laufende Periode prognostiziert das Management beim bereinigten Ebit eine deutliche Verbesserung. Ob dieser Ausblick weiter gilt oder der CEO ihn anpasst, erfahren die Märkte am heutigen Mittwoch. TUI hat nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe den Zwischenbericht für das zweite Quartal 2023 publiziert.
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